sweets processing 1-2/2021

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

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The packaging sector is also part of the broad spectrum of Anuga FoodTec. (Image: Koelnmesse)

Prof. Dr. Andrea Büttner ist seit November 2019 Leiterin des Fraunhofer-Instituts für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV in Freising, seit April 2020 geschäftsführend. Im zweiten Teil unseres Interviews zeigt sie auf, an welchen Lösungen für die Zukunft die Experten des Instituts arbeiten, und wie die Hersteller bei der Entwicklung oder Einführung neuer Produkte im Lebensmittelbereich unterstützt werden.


sweets processing: Frau Professor Büttner, die gegenwärtigen Umstände sind auch für Forschungseinrichtungen nicht einfach. Wie ist es um die wirtschaftliche Situation Ihres Instituts bestellt?
Prof. Dr. Andrea Büttner: Generell verzeichnen wir eine verstärkte Nachfrage und eine deutliche Zunahme der Projektaktivität. Das liegt nicht nur daran, dass wir ein breites Themenspektrum adressieren, allen voran gerade auch die Themen Sicherheit und Hygiene, sondern auch daran, dass wir unsere komplementären Kompetenzen, die wir in den Bereichen Lebensmittel und Verpackung aufgebaut haben, auch in andere Branchen übertragen. Gerade unser interdisziplinäres Expertenteam ist heute stark nachgefragt, denn die großen zu stemmenden Herausforderungen erfordern systemische Konzepte und Lösungen.

sp: Wie äußert sich dies konkret?
Büttner: Wir entwickeln als Gesamtpaket Technologien für Sensorik, Diagnostik, ebenso wie Steuerungs- und utomatisierungstechnik. Vor allem aber selbstlernende und intelligente Assistenzsysteme an der Schnittstelle Mensch/Maschine, die es erlauben, in Arbeitsprozessen, in denen derzeit der Mensch in kritischen Produktionsprozessen eingesetzt wird, zurückgenommen und entlastet wird und sich dadurch anderen Aufgaben in der Produktionslinie und Überwachung intensiver widmen kann. Mit solchen Entwicklungen erzielen wir nicht nur eine Störungsvermeidung und höhere Effizienz in der Produktion. Wir vermeiden auch eine Gefährdung von Mensch und Umwelt und unterstützen das soziale Miteinander, für das mehr Freiräume geschaffen werden. Zum besseren Schutz der Menschen entwickeln wir Hygienekonzepte auch gemeinsam mit anderen Fraunhofer-Instituten, etwa im Leistungszentrum „Sichere intelligente Systeme“. Dies bringt Vorteile für weitere Bereiche mit sich, wie beispielsweise in der Sicherheit der Mobilität, Gastronomie oder beim Sport und auch in der Pflege und medizinischen Versorgung. Mit der Entwicklung von Sensorik und Diagnostik reduzieren wir beispielsweise die Gefahr für „Human Panels“. Eine Herausforderung ist dabei unter anderem die potenzielle Gefährdung durch mikrobiologische Kontamination. Und es gibt natürlich auch Gefährdungsszenarien, die wir nicht schmecken und riechen können. Umso wichtiger ist es, dass wir entsprechende unterstützende Technologien entwickeln.

sp: Bei vielen Verbrauchern steigt das Bewusstsein für die Ernährung. Darauf reagiert die Lebensmittelindustrie. Wie unterstützt das Fraunhofer IVV die Hersteller bei der Entwicklung oder Einführung neuer Produkte?
Büttner: Ein Fokus sind funktionelle Zutaten auf Basis pflanzlicher Rohstoffe. Nach Möglichkeit sollen sie aus der Region stammen. Daher arbeiten wir mit traditionellen Hülsenfrüchten wie Lupine, Ackerbohne oder Linse. Aber auch Seitenströme aus der Öl- und Stärkegewinnung sind dabei. Dabei achten wir gerade auch auf eine schonende Gewinnung der Pflanzenproteine. Gemeinsam mit unseren Industriepartnern ermöglichen wir so eine stetig breiter werdende Auswahl an Alternativen, beispielsweise pflanzlichen Molkerei- und Fleischalternativen. Damit unsere Entwicklungen auch ernährungsphysiologische Vorteile bringen, arbeiten wir mit Experten aus der Ernährungsmedizin zusammen und entwickeln auf Basis derer Empfehlungen neue Rezepturen und Verfahren. Rezepturveränderungen, etwa durch die Reduktion von Zucker, Salz und Fett oder durch Anreicherung mit Ballaststoffen, Proteinen oder Polyphenolen, erfordern eine Reformulierung. Im Bereich pflanzlicher Rohstoffe ersetzen wir oft auch klassische Zusatzstoffe durch natürliche Zutaten.

sp: Können Sie Beispiele nennen?
Büttner: Einen nachhaltigen Ersatz von gesättigten Fetten und Palmöl erzielen wir beispielsweise mit Oleogelen aus Raps- oder Sonnenblumenöl. Schokoladen- oder Nussaufstriche weisen damit ein vergleichbares Texturprofil wie Standardchokoladenaufstriche auf. Mit einem Oleogel als „Fettsystem“ kann der Gehalt an gesättigten Fettsäuren um mindestens 25 Prozent reduziert werden. Durch den gesteigerten Anteil an ungesättigten Fettsäuren erzielen wir damit gleichzeitig eine höhere ernährungsphysiologische Wertigkeit. Bei unseren Entwicklungen ist dabei dennoch der Faktor Genuss zentral, wobei wir auch Sättigungseffekte besser verstehen möchten, um die Entstehung von Übergewicht zu vermeiden und positive ernährungsphysiologische Effekte der Produkte zu erzielen. Es muss schmecken, aber der Genuss darf nicht schaden.

sp: Wie unterstützen Sie Unternehmen bei den Herausforderungen, die neue gesetzliche Vorgaben und das wachsende Bewusstsein von Herstellern und Verbrauchern für nachhaltige Verpackungen mit sich bringen?
Büttner: Wir arbeiten an alternativen Lösungen, die im Verpackungssektor aufgrund ökonomischer und rechtlicher Rahmenbedingungen dringend gefordert sind. Das neue Verpackungsgesetz schreibt eine deutliche Erhöhung der Quoten für das werkstoffliche Recycling vor. Um dies zu erreichen, gehen wir das Thema Kreislaufwirtschaft von Kunststoffen ganzheitlich an, und zwar schon bei der Entwicklung der Materialien oder auch dem Design von Verpackungen. Dazu gehören natürlich auch neue Sortier- und Recyclingstrategien. Unsere Stärke ist die holistische Betrachtung bei der Entwicklung von Produkten, und dies natürlich stets mit Blick auf den Konsumenten.

sp: Dies lässt schließen, dass Ihr Institut ein einzigartiges Gesamtpaket abbildet?
Büttner: Ja, für das komplexe Ineinandergreifen von Produkt- und Herstellungsketten entwickeln wir die geforderten kombinatorischen Systemlösungen. Dafür arbeiten wir an beiden Standorten in Freising und Dresden im Sinne von Nachhaltigkeit, Sicherheit, Gesundheit und Konsumentenschutz an den bestmöglichen Lösungen. Um dies leisten zu können, haben wir über viele Jahre ein Expertenteam aufgebaut, das in der Interdisziplinarität seinesgleichen sucht. Mit unseren Maschinenbauern, Lebensmitteltechnologen, Chemikern, Mikrobiologen, Physiologen und vielen weiteren Fachexperten bilden wir die direkte Verzahnung der Lebenswissenschaften, den sogenannten Life Sciences, mit den Ingenieurs- und IT-Wissenschaften. Wir bieten daher nicht nur technische Lösungen, sondern wissen genau, welche Herausforderungen und Fragestellungen unsere Partner haben, und in welcher Weise wir diese angehen können. Warum das so ist? Weil wir am Institut die Menschen haben, die verschiedene Sprachen sprechen – und die verstehen, wo der Schuh drückt.

 

http://www.ivv.fraunhofer.de


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