sweets processing 1-2/2023

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

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Auseinandersetzungen mit der Politik sind vorprogrammiert

Der Ausschuss Konformität der Industrievereinigung für Lebensmitteltech­nologie und Verpackung e. V. (IVLV) widmet sich derzeit intensiv den Entwicklungen und Plänen der Politiker in Brüssel hinsichtlich Druckfarben, Verpackungsmaterialien und Recycling. Vorläufiges Fazit: In den entsprechenden Rechtsprechungen der Länder sowie in den ­Arbeitspapieren der EU-Agenturen und Behörden steckt sehr viel Konfliktpotenzial.

Von Alfons Strohmaier


Unter dem neuen Titel „Zukunftstage“ fand die Sitzung der IVLV-Arbeitsgruppe Konformität mit rund 50 Teilnehmern in Freising statt. Dipl.-Ing. Tobias Voigt, Geschäftsführer der Industrievereinigung für Lebensmitteltech­nologie und Verpackung e. V. (IVLV), freute sich in seiner Begrüßungsrede über die erste Präsenzveranstaltung der Arbeitsgruppe nach zwei Jahren, die von Ausschuss-Obmann Josef Sutter vom Farbenhersteller hubergroup moderiert wurde. Nach jahrelanger ehrenamtlicher Tätigkeit übergab Sutter die Obmann-Funktion an Dr. Monika Tönnießen, Head of Food Safety Compliance – Global Food Safety, Product Safety and Regulatory Affairs bei der Henkel AG & Co. KGaA.

Den wissenschaftlichen Beirat des Arbeitskreises bildet weiterhin Dr. Angela Störmer vom Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV). Sie informierte in ihrem Eingangsreferat über die aktuellen Änderungen in der Recycling-Gesetzgebung. Seit 10. Oktober 2022 ist die Recyclingverordnung 2022/1616 in Kraft, wobei alle Arten von recycliertem Kunststoff und Recyclingtechnologien in den Anwendungsbereich fallen – mechanisches und chemisches Recycling ebenso wie das Recycling von Produkten einer geschlossenen und kontrollierten Produktkette sowie die Verwendung von Recyclat hinter einer funktionalen Barriere.

Recycler müssen unter anderem für jede Dekontaminationsanlage innerhalb eines Monats nach Beginn der Herstellung eine Zusammenfassung der Konformitätsüberwachung CMSS (Compliance Monitoring Summary Sheet) an die zuständige nationale Behörde übermitteln. Besonders bei neuartigen Technologien werden von den Entwicklern ausführliche Begründungen, wissenschaftliche Nachweise und Studien zur mikrobiologischen Sicherheit gefordert. Dazu gehören die Beschreibung des Gehalts an Kontaminanten im Eingangsmaterial, die Dekonta­minierungseffizienz und auch der Übergang auf Lebensmittel. Die neue Verordnung sei sehr komplex und stelle hohe fachliche und zeitliche ­Anforderungen an die nationalen Stellen, betonte Dr. Störmer.

Über die neuen Anforderungen in der Mineralölanalytik sprach anschließend Gary Bastidon vom Institut Kirchhoff Berlin, einem Geschäfts­bereich von Mérieux NutriSciences. Demnach ergibt sich für die Begrenzungen der bisherigen Standard­methode HPLC-GC-FID eine Lösung durch GCxGC-TOFMS. Dabei erzielt jetzt ein massenselektiver Detektor statt des bisherigen unspezifischen Detektors ein qualitatives und nicht nur ein rein quantitatives Ergebnis. Statt der allgemeinen Summe von MOSH/MOAH ist dadurch die Charakterisierung nach Substanz­klassen möglich. „Konformitätsarbeit bedeutet, das fehlende Puzzleteil zu finden“, betonte Bastidon, wobei je nach Fragestellung verschiedene Prüfansätze relevant sind.

Lisa Hetzel, Romy Fengler und Dr. Störmer, alle vom Fraunhofer IVV, präsentierten Literaturstudien (Lisa Hetzel) und eigene Arbeiten im Rahmen des IVLV-Projekts „Migration aus Papier und Pappe in reale Lebensmittel im Vergleich zu Lebensmittel­simulantien”. Wie Romy Fengler ­darstellte, gibt es die Auseinander­setzung mit dem Thema Migration aus Papier und Karton schon lange, etwa in dem ersten IGF-Projekt „Minimierung Mineralölmigration von 2016 bis 2018”. Dabei standen die Messung und Vorhersage der Migra­tion von MOSH/MOAH aus Verpackungen in Lebensmittel im Mittelpunkt. Seit 2020 gibt es zudem mehrere Publi­kationen zu Migrationsexperimenten mit Lebensmittel(simuanzien). Das IVLV-Projekt „Papiermigration 2022“, in das die ­Erfahrungen der vergangenen Projekte eingeflossen sind, zeigt deutlich, dass die Möglichkeit realis­tischer ­Prüfung bei niedrigen Grenzwerten essentiell für die Konformitätsprüfung ist. Die Wissenschaftler konstatieren jedoch, dass die genauen Mechanismen der Migration sowohl im Karton selbst wie auch an der Grenzfläche zum Lebensmittel „noch nicht ausreichend verstanden sind“. Weitere spannende Einsichten aus wissenschaftlichen Projekten ermöglichte Dr. Elisabeth Pinter vom OFI – Österreichisches Forschungsinstitut für Chemie und Technik, die über das IGF-Vorhaben „microplastic@food“ zur Analyse von Mikroplastik in Lebensmitteln und Verpackungen (bis Juni 2023) und das Folgeprojekt „MicroplexFood“ (ab Mitte/Ende 2023) informierte. In dem zweijährigen Branchenprojekt soll die Präsenz/­Absenz von Mikroplastik in komplexen Lebensmittelmatrizes erforscht und die potenziellen Eintragsquellen ermittelt werden. Zusammen mit Dr. Frank Welle (Fraunhofer IVV) und Dr. Bernhard Rainer (FH Campus Wien) beleuchtete Dr. Pinter auch noch das IGF-Vorhaben „PolyCycle“ und das Nachfolgeprojekt „SafeCycle“.

Vor dem Hintergrund der strengen und sehr konservativen EFSA-Vor­gaben für den Einsatz von Kunststoffrezyklat in Lebensmitteln geht es dabei zum einen um die Entwicklung einer Teststrategie zur umfassenden Sicherheitsbewertung der Rezyklate und darauf aufbauend um die Analyse von Rezyklaten und Recyclingprozessen sowie deren Anwendbarkeit für unterschiedliche Verpackungsszenarien.

Weitere wissenschaftliche Details gab es etwa zu den Mechanismen des Übergangs von Druckfarbenkomponenten in das verpackte Lebensmittel, zur Stabilität von Analyselösungen und der Identifizierung und Elimi­nierung von Kontaminationsquellen. Daneben bestimmten diesmal die ­gesellschaftlichen ­Debatten und die politischen Pläne, insbesondere der angekündigte europäische Grüne Deal der EU, die Arbeitssitzung. Als welt­weiter Vorreiter wollen die EU-­Behörden die Wirtschaft für eine nachhaltige ­Zukunft umgestalten, so die ambitionierte­ ­Vision. Zwei Punkte betreffen dabei die Lebensmittel­kontakt-Gesetzgebung: zum einen das Null-Schadstoff-Ziel für eine schadstofffreie Umwelt, zum anderen die Forderung nach einem fairen, ­gesunden und umweltfreundlichen Lebensmittelsystem unter dem Titel „Vom Acker auf den Teller“.

„Die NGOs haben inzwischen die Oberhand bei den Sitzungen; Praktiker aus der Industrie und Verbände werden als scheinbare Lobbyisten kaum mehr angehört“, kritisierten ­Dr. Ernst Simon, Geschäftsführer des Verbands FPE Flexible Packaging ­Europe, und Dr. Hermann Onusseit (Onusseit Consulting) mit scharfen Worten die Vorgaben aus Brüssel als zusehends realitätsfremd und praxisfern. So gibt es seit Oktober 2020 eine rechtlich unverbindliche „Chemika­lienstrategie für Nachhaltigkeit – für eine schadstofffreie Umwelt“ als Kommunikationspapier mit einem Anhang von über 50 Einzelmaßnahmen. Doch bis jetzt haben die EU-Staaten noch nicht einmal entsprechende Arbeits- und Expertengruppen eingesetzt.

Eine geplante Maßnahme stellte Dr. Simon besonders heraus: „Ein Stoff, eine Bewertung“. Soll heißen, dass eine Chemikalie nur noch von einer der heute vielfach beteiligten EU-Agenturen bewertet werden soll. Während etwa die Arbeit der EFSA auf der Risiko-Abwägung eines ­Stoffes basiert, zielt die ECHA, die ­European Chemistry Agency, auf eine Gefahren-Bewertung ab, das heißt, als riskant eingstufte Stoffe generell und für alles zu verbieten. Dies wäre nach Ansicht der Experten sowohl technisch als auch wirtschaftlich eine Bankrotter­klärung der Politik.

 

http://www.ivlv.org


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